Von: Sebastian Schanz || Digitales Storytelling: Franziska Schäfer
Bamberg. Am 18. Dezember 2020 berichtet der Fränkische Tag das erste Mal über die Bamberger „Boni-Affäre“. Ein Whistleblower hat einen geheimen Prüfbericht des Bayerischen Kommunalen Prüfungsverbandes an Journalisten durchgesteckt. Die Vorwürfe in dem Prüfbericht lasten schwer: Es geht darum, Steuergeld in sechsstelliger Höhe veruntreut zu haben und einen enormen Vertrauensverlust in der Bevölkerung.
Über zwei Jahre lang beschäftigt die Affäre Bamberg. Eine große Razzia im Rathaus macht im Sommer 2021 überdeutlich, dass auch die Staatsanwaltschaft Hof den Fall sehr ernst nimmt. Die Abteilung Wirtschaftskriminalität ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Hof spricht von einem Schaden für die Stadt in Höhe von rund 275.000 Euro.
Im Sommer 2022 beantragt das Amtsgericht Hof schließlich Strafbefehle gegen den Bamberger Oberbürgermeister Andreas Starke (SPD), zwei seiner Referenten und den ehemaligen Personalamtsleiter wegen Untreue. Alle vier Beschuldigten nehmen ihre Strafen an. Starke ist seither vorbestraft, hält sich aber im Amt.
Strafrechtlich ist der Fall damit abgeschlossen. Ob Disziplinarstrafen angemessen sind, prüft seither die Landesanwaltschaft.
Die Aufarbeitung im Bamberger Rathaus übernimmt 2022 Jonas Glüsenkamp. Der Zweite Bürgermeister ist neu im Amt und daher unbelastet – als Personalreferent ist es seither sein Job, im Rathaus aufzuräumen. Nun hat er seinen Abschlussbericht dem Stadtrat vorgelegt.
1. Herr Glüsenkamp, was ist nach der Aufarbeitung Ihr Fazit zur Bamberger Rathausaffäre?
Der Bericht des Bayerischen Kommunalen Prüfungsverbandes hat zu vielen persönlichen Härten geführt und die Stadt zwei Jahre beschäftigt. Bei allem, was das an persönlichen Schicksalen bedeutet hat – ich möchte mit niemandem tauschen, der sich mit Rückforderungen konfrontiert sieht oder wo die Polizei daheim vor der Tür steht. Aber für die Gesamtorganisation hat er auch Chancen gebracht, weil plötzlich eine Reformbereitschaft da war, die in großen Organisationen naturgemäß nicht immer gegeben ist.
Kern der Affäre ist für mich, dass es in der Vergangenheit viele undefinierte Prozesse gegeben hat, einige Dinge gelaufen sind, die nicht rechtskonform abgewickelt wurden. Und all das hat zu einem Gefühl der Ungerechtigkeit bei Mitarbeitern geführt. Einige hatten das Gefühl, man musste nur mit den richtigen Leuten sprechen, dann wird das schon mit der Beförderung und der Gehaltserhöhung. Durch die Aufarbeitung konnten wir nun Prozesse implementieren, damit solche Dinge nicht mehr passieren.
Waschkörbeweise Unterlagen: Pfingsten 2021 kam es zu einer Razzia in mehreren Bamberger Ämtergebäuden.
2. Es gab Mitarbeiter, die im Krankenstand Überstunden aufgebaut haben und vierstellige Zeitkonten. Kuriose Einzelfälle. Ganz Bamberg fragt sich: Wie konnte das alles passieren?
Es gibt nicht das eine schuldige Gesicht, auch wenn es naheliegt, zuerst danach zu suchen in der Öffentlichkeit. Man hat in der ganzen Personalorganisation Prozesse zu wenig definiert, das ist über eine lange Zeit gelaufen, und daran waren sehr viele Menschen beteiligt. Deswegen glaube ich, dass die persönliche Schuld nicht im Mittelpunkt dieser Sache steht. Sondern die Frage ist, was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist und wie man es verbessern kann.
Ein wichtiges Ergebnis des externen Gutachtens der Kanzlei Gleiss Lutz war, dass die Wurzeln des Übels schon in den 90er-Jahren gewachsen sind. Damals ist im Beamtenbereich auch in anderen Kommunen viel über zusätzliche Zahlungen gelaufen. Stück für Stück haben die Kommunen angefangen, das zu ändern. In Bamberg aber hat man das nicht in der letzten Konsequenz gemacht.
Und da gibt es einen Rechnungsprüfungsausschuss, der das nicht in der Konsequenz gemacht hat, einen Stadtrat, Verantwortliche in der Stadtverwaltung, Verwaltungsmitarbeiter, eine Rechtsaufsichtsbehörde, die alle nicht darauf gedrungen haben und kontrolliert haben. Es sind viele Beteiligte.
3. „Keine Leistung ohne Gegenleistung“: Das betont Oberbürgermeister Andreas Starke (SPD) im Zuge der Affäre immer. Ist diese Aussage nach der Aufarbeitung haltbar?
Wir haben keine Zahlung entdeckt, bei der wir letztlich belegen konnten, dass sie nicht in irgendeiner Form mit einer Leistung verbunden gewesen wäre. Man konnte einige Zahlungen nur nicht so auszahlen, weil es für sie in dieser Form keine Rechtsgrundlage gab bei einem Beamten.
Oberbürgermeister Andreas Starke rechtfertigt sich im Stadtrat zur Bamberger Rathaus-Affäre.
Wir konnten in vielen anderen Fällen, zum Beispiel bei den Beamtenprämien nachweisen, dass es eine Gegenleistung gab für die Leistung. Oft waren die eben nicht sauber dokumentiert, das ist die Schludrigkeit. Und das hat dazu geführt, dass viele Fragezeichen entstanden sind. Hauptpunkte sind die fehlende Dokumentation, die fehlenden Prozesse, die mangelhafte Aktenführung, die dazu geführt haben.
4. Ihre Arbeitsgruppe hat mehr als 250 Zahlungen an Beamte überprüft, darunter Mehrarbeitspauschalen, Aufwandsentschädigungen und Auszahlungen von Zeitguthaben sowie Prämien. In 15 Fällen fordern Sie ausbezahlte Summen zurück. Welche Widerstände erleben Sie dabei?
Unabhängig von Rückzahlungen ist mir wichtig: Es hat zu keinem Zeitpunkt mittelbar oder unmittelbar den Versuch der Einflussnahme durch den OB oder durch andere Führungskräfte gegeben. Das nötigt mir Respekt ab, weil es für diese Personen um viel ging und geht.
Widerstände gab es von einigen Stadträten gegen das externe Gleiss-Lutz-Gutachten, weil es 200.000 Euro gekostet hat. Der externe Blick war aber für die Glaubwürdigkeit der Aufarbeitung sehr wichtig, deshalb habe ich das vorgeschlagen und vom Stadtrat auch beschließen lassen.
Rückzahlungen von Angestellten konnten wir rechtlich nicht fordern, da ist ein Vermögensschaden entstanden, den die Versicherung gezahlt hat. Monetär ist dadurch kein Schaden für die Stadt entstanden. Rückzahlungen von Beamten haben wir insgesamt 15 gefordert. Fünf sind bereits bezahlt. Gegen zehn Bescheide sind Klagen anhängig.
Wichtig ist auch: All das ist menschlich nicht einfach. Es gab Mitarbeiter, die haben hier bei mir im Büro geweint. Weil sie das Gefühl hatten, sie werden für etwas schuldig gemacht, wofür sie nichts konnten. Weil sie sich viele Jahre für die Stadt Bamberg eingesetzt haben und dann vielleicht schon in Rente in die Schuldecke gedrängt wurden. Trotz all dem hat die Mitarbeitervertretung die Aufarbeitung vorbehaltlos unterstützt. Auch davor habe ich großen Respekt.
5. Was hat sich durch die Affäre im Bamberger Rathaus geändert?
Überstunden ohne Nachweis soll es in Bamberg nicht mehr geben. Die Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung gilt seit Februar 2021 für alle städtischen Mitarbeiter.
Es gibt jetzt mehr Transparenz und definierte Prozesse. Durch die Affäre hatten wir die seltene Gelegenheit für den Willen zu tiefgreifenden Reformen. Führungspositionen werden ausgeschrieben. Beförderungen laufen nach einer klaren Richtlinie ab, Verbeamtungen ebenfalls. Die Stufen im Tarif für den öffentlichen Dienst sind durch eine neue Leitlinie klarer geregelt. Aufstiegsmöglichkeiten sind klar absehbar, es gibt einen transparenten Zugang zu Fort- und Weiterbildung. Alle Mitarbeiter müssen stempeln.
Insofern: Die Verfahren, wie man sich entwickeln kann, sind klar definiert und für alle einsehbar. Es gibt keine Einzelfallentscheidungen mehr. Wir haben also jetzt organisatorische Reformen vorgenommen, die verhindern, dass so etwas im Bamberger Rathaus nochmal passiert.
Jonas Glüsenkamp wurde am 24. Januar 1988 in der Nähe von Osnabrück geboren. In Bamberg studierte er ab 2008 Volkswirtschaftslehre. Er ist mit einer gebürtigen Bambergerin verheiratet, die als Kinderärztin arbeitet. Das Ehepaar hat drei Kinder. Seit 2020 ist der Grüne Zweiter Bürgermeister der Stadt Bamberg.
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