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„Man kann den Bambergern die Wahrheit zumuten”

Migration löst Probleme. Und sie verschärft Probleme. Das sagt Mitra Sharifi vom Bamberger Migrantenbeirat. An die Politik hat sie eine klare Forderung.

Von: Christoph Hägele || Digitales Storytelling: Franziska Schäfer

Bamberg. Die Migrationseuphorie des Jahres 2015 ist verschwunden. Etwas hat sich verändert in diesem Land. Das ist auch Mitra Sharifi nicht entgangen. Im migrationspolitischen Diskurs der Stadt Bamberg ist die gebürtige Iranerin eine laute Stimme.



1. Frau Sharifi, Sie leben als gebürtige Iranerin seit knapp vier Jahrzehnten in Bamberg. Haben Sie trotzdem noch das Gefühl, einfach nicht dazuzugehören?

Ich bin in den früheren Jahren noch auf der Straße beschimpft worden, weil ich mit meinem Kind auf Persisch sprach. Das liegt aber Jahre zurück.

Heute ist Bamberg auch eine gute Stadt für Menschen, die ihre Wurzeln im Ausland haben. Es gibt hier eine wache Zivilgesellschaft, die sich für uns einsetzt, die uns hilft und unterstützt. Auch das politische Klima in der Stadt empfinde ich als offen. Aber: Migrantenfeindliche Äußerungen gibt es hier in letzter Zeit leider wieder mehr, auch von den im Stadtrat vertretenen Fraktionen kommen ab und zu problematische Äußerungen.

Trotzdem ist Bamberg meine Stadt geworden. Ich habe nun zwei Heimaten. Ich bin eine stolze Bambergerin. Ich will, dass es für die Stadt und ihre Menschen vorangeht. Dafür engagiere ich mich auch, zum Beispiel im Migrantinnen- und Migrantenbeirat.



  • Bild: Julian Megerle

Mitra Shafiri lobt die Bamberger Zivilgesellschaft als wach und empathisch.



2. Umfragen zeigen, dass die Deutschen zunehmend skeptisch auf die Migration blicken. Wie konnte es dazu kommen?

Ich habe in Deutschland schon etliche Phasen erlebt, in denen die Migration für sämtliche gesellschaftliche Probleme verantwortlich gemacht werden sollte. „Das Boot ist voll“ hieß es schon in den 90ern. Es ist für eine bestimmte politische Klientel offenbar verführerisch, lieber Sündenböcke zu suchen als konkrete Lösungen für gesellschaftliche Probleme.

Auf der anderen Seite verstehe ich, dass Menschen verunsichert sind. Migration stresst sowohl die Migranten und Migrantinnen als auch die aufnehmende Gesellschaft.

Migration löst manche Probleme. Sie kann aber auch Probleme verschärfen. Wir können ohne Migrantinnen und Migranten weder das Pflegesystem aufrechterhalten noch die Rentenkassen. Aber gerade auf dem Wohnungsmarkt oder an Schulen und Kindergärten verschärft die Migration die bestehenden Probleme.

Auch in Bamberg haben es viele Einheimische in diesen Bereichen schwer. Es fehlen Wohnungen, es fehlen Betreuungsplätze. Die Schere zwischen Arm und Reich wächst und wächst. Wenn Einheimische dann mit Migranten um ohnehin schon knappe Ressourcen konkurrieren müssen, kann das zu falschen Schlüssen, Ängsten und Vorurteilen führen.



  • Bild: Frank Rumpenhorst/dpa

Der deutsche Arbeitsmarkt ist auf Zuwanderung zwingend angewiesen.



3. Wäre es deshalb konsequent im Sinne des sozialen Friedens, die Migrationszahlen deutlich zu senken?

Ich kenne diese Forderungen. Nur ist mir bis heute kein Konzept bekannt, wie die Zahlen dauerhaft gesenkt werden können, ohne dass wir dafür die Menschenrechte verletzen müssen. Dieses Konzept haben im Übrigen auch diejenigen nicht, die Deutschland am liebsten zum Abschiebeweltmeister machen wollen. Schauen Sie sich doch bitte die Zahlen einmal an, die Effekte der sogenannten Abschiebeoffensive sind kaum der Rede wert.

Stattdessen schiebt der Staat in seiner Not oft genug noch wunderbar integrierte und als Fachkräfte dringend benötigte Migranten ab. Dabei wäre die deutsche Wirtschaft ohne migrantische Arbeitskräfte längst nicht mehr überlebensfähig.

Man kann den Bambergern die Wahrheit zumuten: Migration hat es immer gegeben. Es wird sie immer geben. Die entscheidende Frage ist, wie wir mit ihr umgehen.

Aus meiner Sicht liegt der entscheidende Schlüssel in der Bildung. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass aus Migranten gleichberechtigte Bürger werden: mit Aufstiegschancen und gleichzeitig auch Respekt vor den in Deutschland geltenden Werten und Normen. Für dieses Ziel müsste der Staat mehr Geld in die Hand nehmen. Jeder in das Bildungssystem investierte Euro ist eine Investition in gelingende Integration.



4. Sie haben den Iran verlassen, weil Sie sich dort nicht selbstbestimmt entfalten konnten. Was denken Sie sich dabei, wenn in deutschen Moscheen Hass auf Ungläubige gepredigt und auf öffentlichen Demonstrationen nach der Scharia gerufen wird?

Natürlich mache ich mir Sorgen, wenn Extremisten sich unter Migranten breit machen.

Wer unsere Demokratie und unsere freiheitlichen Werte aber aktiv bekämpft, hetzt oder zu Gewalt aufruft, der muss mit allen Mitteln des Gesetzes verfolgt und bestraft werden. Hier wünsche ich mir mehr staatliche Härte. In dieser Frage mache ich keinen Unterschied zwischen Neonazis und islamistischen Fundamentalisten. Beides sind Extremisten, die unsere offene Gesellschaft zerstören wollen.

Aber lassen Sie mich eines betonen: Die ganz große Mehrheit der Migranten will keinen Gottesstaat, sondern ein gewöhnliches Leben. Dazu gehören eine Wohnung, ein Job, Sicherheit und Zukunftschancen für die Kinder.



  • Bild: Ronald Rinklef

Die Amtszeit von Andreas Starke als Oberbürgermeister der Stadt Bamberg endet im Jahr 2026.

5. Im Jahr 2026 wählt Bamberg ein neues Stadtoberhaupt. Wäre Bamberg reif für ein Stadtoberhaupt mit ausländischen Wurzeln?

Eine nette Vorstellung! Allerdings sollte es keine Rolle spielen, woher der neue Oberbürgermeister kommt und welche Wurzeln er hat. Auf seine Pläne und Visionen für die Stadt kommt es an, auf nichts anderes.

Abgesehen davon glaube ich, dass die Bamberger bereit wären für einen OB mit Migrationshintergrund. Warum? Weil sie in den vergangenen Jahren mehrheitlich gute Erfahrungen mit Migranten gemacht haben. Davon bin ich überzeugt.

Wer könnte dieser OB sein? Das weiß ich im Moment nicht. Das liegt auch daran, dass im aktuellen Bamberger Stadtrat meines Wissens nur zwei Mitglieder eine Migrationsgeschichte haben.

Für politisches Engagement gibt es für Migranten häufig strukturelle Hemmnisse. Sie haben oft einen schwierigeren Alltag. Sie müssen im Beruf besonders hart kämpfen. Oder es fehlen ihnen die Omas und Opas, die mal auf die Kinder aufpassen. Manche misstrauen aufgrund ihrer Erfahrungen in den Herkunftsländern auch der Parteipolitik.





  • Bild: Helmut Ölschlegel
Zur Person

Mitra Sharifi ist gebürtige Iranerin, Germanistin und Lektorin an der Universität Bamberg, Ehefrau und Mutter. Vor allem aber ist sie Bambergerin. Deshalb engagiert sie sich seit drei Jahrzehnten beim Migrantinnen- und Migrantenbeirat der Stadt Bamberg (MIB). Mit Marco Depietri bildet sie aktuell die Doppelspitze des MIB. Im Oktober dieses Jahres wird der Beirat neu gewählt. Alle Infos zur Wahl hier.



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