Von: Manuela Nagl || Digitales Storytelling: Franziska Schäfer
Bamberg. „Die Radikalisierung findet nicht mehr auf der Straße statt, sondern in den sozialen Medien.“ Das sagt Ahmad Mansour. Der Diplom-Psychologe und bekannte Extremismusforscher, der sich selbst als „arabischen Israeli“ bezeichnet, verfolgt mit großer Besorgnis die Erstarkung des Islamismus und Rechtsradikalismus auf YouTube, TikTok und Co. „Ich frage mich da: ‚Wo sind wir Demokraten, wo ist die Mitte?‘“
Während die Politik über Messerverbot diskutiert – „davon halte ich nichts“ –, versucht Mansour über verschiedene Präventionsprojekte im Bildungs- und Integrationsbereich Demokratie zu fördern und Extremismus vorzubeugen. „Wir dürfen nicht vergessen, Radikalisierung findet bei Flüchtlingen statt, aber auch bei Menschen, die hier aufgewachsen sind.“
Auf Einladung der Opferhilfe Oberfranken ist Ahmad Mansour an die Universität Bayreuth gekommen, um mit jungen Medienscouts aus ganz Oberfranken über Extremismus, digitale Demokratieförderung und Hass im Netz zu sprechen
1. Herr Mansour, Sie sagen, die Radikalisierung der jungen Menschen findet in den sozialen Medien statt. Wie genau meinen Sie das?
Nehmen wir das Thema Islamismus oder Rechtsextremismus, da haben die radikalen Akteure früher auf der Straße viel getan, um Leute zu rekrutieren, anzuwerben, um ihre Ideologie zu verbreiten. Sie standen vor Schulen, sie haben Moscheen genutzt. Das brauchen Sie jetzt nicht mehr. Das findet auch nicht mehr auf der Straße statt, sondern in den sozialen Medien. Und sie schaffen es mittlerweile, die Themen, die diese Generation interessieren, auf eine Art und Weise anzusprechen, die bei den Jugendlichen ankommt. Das heißt, Islamismus schafft es, Jugendkulturelemente für sich zu beanspruchen, zu nutzen, um Jugendliche einfach zu erreichen. Wenn sie heute Interesse an dem Islam haben, dann werden sie leider keine islamischen Inhalte finden, sondern vielmehr islamistische Inhalte. Und da machen wir viel zu wenig dagegen, um in den sozialen Medien auch Gegennarrative zu schaffen. Das kennen wir auch vom Rechtsextremismus. Die AfD ist heute viel besser dran, auf TikTok und auf anderen sozialen Medien ihre Botschaften zu vermitteln. Da frage ich mich: ‚Wo sind wir Demokraten, wo ist die Mitte?‘ Ich glaube, wir haben diesen Bereich komplett vernachlässigt.
Im Rahmen seiner Präventivarbeit hat Ahmad Mansour auch die Justizvollzugsanstalt in Ebrach besucht, um die dortigen Jugendlichen für das Thema Extremismus zu sensibilisieren.
2. Findet die Radikalisierung der Jugendlichen auch in Oberfranken bzw. im Landkreis Bamberg statt?
Absolut. Wir leisten in Bayern Präventionsarbeit in Jugendgefängnissen. Wir waren zum Beispiel in Ebrach. Dabei treffen wir auf Jugendliche, die vielleicht Fehler in ihrem Leben gemacht haben, aber wir treffen auch auf Jugendliche, die sich radikalisiert haben. Das ist nicht nur ein Thema in Berlin und Köln. Das ist überall ein Thema, da man zur Radikalisierung keine lokale Struktur mehr braucht. Bei dem Projekt mit dem Justizministerium in Bayern bieten wir Workshops und Dialogplattformen. Das ist auch nachhaltig, weil wir immer wieder die gleichen Gefängnisse besuchen, um die Menschen zu sensibilisieren, die sich in einer persönlichen Krise befinden – im Gefängnis zu sein, ist für viele immer eine sehr ernsthafte Situation –, sodass sie sich gegen radikale Ansprache wehren und radikale Tendenzen erkennen können.
3. Sie selbst haben in Ihrer Jugend Erfahrung mit demokratiefeindlichen Sichtweisen gemacht: Warum stoßen solche Ideen besonders bei Jugendlichen auf fruchtbaren Boden?
Das hat sehr unterschiedliche Gründe. Meistens finden Radikalisierungsprozesse mitten in einer persönlichen Krise statt. Zum Beispiel bei Menschen, die gemobbt werden, deren Familienstruktur nicht gut funktioniert, bei denen der Übergang von der Schule zum Berufsleben nicht funktioniert. Diese Menschen lassen sich davon ansprechen, da radikale Ideologien Halt und Orientierung bieten, und vor allem die Möglichkeit, die Verantwortung abzugeben. Sie haben das Gefühl, zu einer Elite zu gehören, sie schließen soziale Kontakte und erleben innerhalb dieser Gruppe Zusammenhalt. Und vor allem sind Radikale sehr gut in der Lage, sehr komplexe Sachverhalte sehr einfach darzustellen. Das heißt, Radikalisierung ist auch manchmal eine Antwort auf Überforderung. Hinzukommt die Tatsache, dass in den sozialen Medien Manipulation stattfindet. Das heißt, das sind Menschen, die einfach alles tun, um durch Propaganda, durch Videos, durch Emotionalität zu versuchen, Menschen zu manipulieren. Solange sie das ungestört machen können, müssen wir uns Sorgen um unsere Gesellschaft machen.
Die Opferhilfe Oberfranken hat unter anderem Medienscouts aus der Region Bamberg zu einem Ausbildungstag an die Universität in Bayreuth eingeladen.
4. Welche Rolle spielen Medienscouts bei der Extremismus-Prävention?
Eine unfassbar wichtige Rolle. Peer Education (Anmerkung der Redaktion: Jugendliche lernen von Jugendlichen) ist die Methode, die ich für am effektivsten halte. Jugendliche, die aus der gleichen Gruppe kommen, die den Alltag ihrer Mitschüler miterleben, sich in denselben Kanälen bewegen, sind viel besser in der Lage, Radikalisierungstendenzen zu erkennen als zum Beispiel Eltern oder Lehrer. Bei denen überlegen sich Radikale zweimal, ob sie ihre echte Meinung sagen. Aber in den WhatsApp-Gruppen und in den TikTok-Kanälen, da kann man es merken.
5.Haben Sie Tipps, wie Medienscouts dabei am besten vorgehen sollen?
Nie schweigen, sondern das immer zum Thema machen. Sie müssen auf zwei Ebenen aktiv werden: Erst einmal Hilfe holen, wenn sich jemand radikalisiert. Aber auch miteinander darüber nachdenken, was können sie in den sozialen Medien leisten, damit dort vielleicht auch Prävention gegen Radikalisierung stattfindet. Und natürlich recherchieren. Wenn man etwas liest, wenn man etwas geschickt bekommt, zweimal darüber nachdenken, ob es wirklich stimmt und ob man auf Weiterleiten klickt.
Ahmad Mansour stammt aus der Kleinstadt Tiara in Israel. Seit 20 Jahren lebt er in Deutschland. Er besitzt die deutsche und israelische Staatsbürgerschaft. Mansour engagiert sich beharrlich gegen Antisemitismus. 2018 gründete Mansour eine Initiative für Demokratieförderung und Extremismus-Prävention, die verschiedene Projekte im Bildungs- und Integrationsbereich sowie in Justizvollzugsanstalten durchführt. Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Carl-von-Ossietzky Preis für Zeitgeschichte und Politik, den Menschenrechtspreis der Gerhart und Renate Baum-Stiftung sowie das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Die theologische Fakultät der Universität Basel verlieh ihm 2022 die Ehrendoktorwürde.
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